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Wir untersuchen anhand der Ausfallraten die derzeitige Risikosituation im deutschen Unternehmenssektor, wobei eine Basel-konforme Definition des Ausfallereignisses zugrunde gelegt wird. Aufgrund der umfassenden Datenbasis der Untersuchung, die 2,55 Mio. wirtschaftsaktive Unternehmen berücksichtigt, was einer Vollerhebung des deutschen Unternehmenssektors entspricht, sind die in der vorliegenden Studie dargelegten Ergebnisse empirische Ausfallraten, und nicht Hochrechnungen oder Schätzungen.

Risikosituation deutscher Unternehmen

Die empirische Ausfallrate deutscher Betriebe sank im noch maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2021 von bereits historisch niedrigen 1,14% in 2020 weiter auf 1,08%. Kleinere Betriebe waren nach wie vor ausfallgefährdeter als größere Unternehmen. Während mit Blick auf die Unternehmensgröße eine Verringerung der Ausfallraten anders als 2020 auf breiter Front stattfand, fiel der Rückgang der Default Rates bei den mittelgroßen und großen Unternehmen, d.h. Firmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Mio. Euro, am stärksten aus.

In Bezug auf Branchenunterschiede sind die Wirtschaftszweige Verkehr/Logistik und Bau deutlich anfälliger als andere Branchen. Die Grundstoffindustrie konnte ihre Position am anderen Ende des Spektrums behaupten. Nach einer allgemein rückläufigen Ausfallquote im Jahr 2020 kam es in 2021 zu einem Anstieg der Ausfallraten im Bausektor und in der Chemiebranche, während von uns in den übrigen Wirtschaftszweigen anhaltend rückläufige Quoten registriert wurden. Eine beginnende wirtschaftliche Erholung bei den konsumnahen Dienstleistern im Zuge von weniger strengen Pandemie-Auflagen dürfte bei der jüngsten Entwicklung eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, ebenso wie noch bestehende oder wieder eingesetzte staatliche Stützungsmaßnahmen für diesen besonders hart von den Schutzbestimmungen getroffenen Bereich.

Aus einem geographischen Blickwinkel zeigt sich ein einheitliches Bild bezüglich der Richtung der Veränderung: In allen Bundesländern hat sich die Ausfallrate 2021 gegenüber dem Vorjahr reduziert. Darüber hinaus bestätigt sich für 2021 einmal mehr, dass die ostdeutschen Flächenländer tendenziell eine geringere empirische Ausfallrate als die westdeutschen Länder aufweisen. Berlin bleibt im Bundesländervergleich mit der höchsten Ausfallrate und deutlichem Abstand an der Spitze, während Thüringen weiterhin mit der niedrigsten Ausfallquote aufwarten kann.

In der Betrachtungsweise nach Unternehmensalter zeigen unsere Berechnungen auch für 2021 durchweg einen tieferen Stand der Ausfallquoten. Im Jahr 2019 vor Ausbruch der Pandemie kam es bei Neugründungen noch zu einem leichten Anstieg der Ausfallwahrscheinlichkeit – als einzigem Unternehmenssegment. Hier liegt die Vermutung nahe, dass staatliche Hilfen im Rahmen der Corona-Krise gerade in der fragilen Anfangsphase der Unternehmen ein stabilitätsverleihendes Sicherheitspolster haben darstellen können. Trotz Unterstützungsmaßnahmen blieb es in den beiden letzten Jahren schwierig, Anschlussfinanzierungen zu finden, wenn Startkapital für die erste Phase unmittelbar nach Gründung aufgezehrt ist.

Auch im laufenden und kommenden Jahr wird die Wirtschaftsaktivität in Deutschland unseres Erachtens gedämpft bleiben, wenngleich sich mit fortschreitenden Impfkampagnen und natürlicher Immunisierung der Fokus etwas weg von Risiken der Pandemie hin zur durch den Überfall Russlands auf die Ukraine angespannten geopolitischen Lage verschoben hat. Deutschland erscheint als vergleichsweise stark von russischen Energieträger-Importen abhängiges Land gegenüber den Versorgungsrisiken insbesondere mit Blick auf Gas erheblich exponiert und wird einige Zeit benötigen, um diese strukturelle Gegebenheit aufzulösen. Zudem könnten ohnehin beeinträchtigte Lieferketten, die durch Chinas rigorose Null-Covid-Politik verschärft wurden, mit Blick auf Einschränkungen bei der Binnenschifffahrt aufgrund der durch anhaltende Trockenphasen bedingten niedrigen Wasserstände zusätzlich intensiviert werden. Dies sollte zu weiteren Produktionseinbußen in wichtigen Branchen wie der Automobilindustrie, in der die Transformation zur Elektromobilität in vollem Gange ist, sowie der chemischen Industrie und der Metallindustrie führen.

Wir erwarten, dass der enorme Gegenwind länger anhalten und sich bis weit ins Jahr 2023 hinziehen wird. Wir rechnen aktuell mit einer Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Ausstoßes um 1,5% im Jahr 2022 und nur mit einem marginalen Anstieg des Wirtschaftswachstums auf 1,6% im Jahr 2023. Die Abwärtsrisiken für unseren Forecast sind beträchtlich, so dass wir nicht ausschließen können, dass wir unsere Prognosen im weiteren Zeitverlauf weiter herunternehmen wer-den. So könnten vollständig ausgesetzte Gaslieferungen von Russland nach Deutschland und/oder ein Andauern der klimabedingten Schwierigkeiten für die Binnenschifffahrt frühzeitig eine technische Rezession herbeiführen.

Bei der vorliegenden Gemengelage aus geopolitischen, wirtschaftlichen und Pandemie-bedingten Faktoren hat die Unsicherheit bezüglich des Ausblicks für die Ausfallrate deutscher Unternehmen wieder spürbar zugenommen. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Stützungsmaßnahmen ihre stabilisierende Wirkung abermals nicht verfehlen und zumindest einen massiven Anstieg bei Insolvenzen verhindern, zumal ein drittes Entlastungspaket in Aussicht gestellt ist, nachdem die Bundesregierung im Februar und im April 2022 bereits zwei Pakete auf den Weg gebracht hatte. Bis Ende des zweiten Quartals 2022 ist die empirische Ausfallrate bei den deutschen Unternehmen nochmals geringfügig zurückgegangen, auf 1,06% per Ende Juni 2022. In Anbetracht der beschriebenen Risiken und Unsicherheiten, aber auch der potenziell stabilisierenden Entwicklungen, ergeben unsere Schätzungen für die 1-jährige Ausfallrate zur Jahresmitte 2023 einen Anstieg auf 1,45%. Damit würde sich die Rate noch immer spürbar unter dem 10-Jahres-Durchschnitt für 2010-2019 (1,61%) bewegen.